26.10.2011
Es kommt auf jede Scherbe an: Münchner lebten schon Anfang des 11. Jahrhunderts am Marienhof – noch vor der Stadtgründung 1158!
Die Ausgrabungen am Marienhof befinden sich innerhalb des ältesten Stadtkerns Münchens aus dem 12. Jahrhundert. Wie der aktuelle Fund einer Keramikscherbe zeigt, lebten bereits in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts Menschen an dieser Stelle und somit schon 100 Jahre vor der Stadtgründung Münchens im Jahr 1158. Prof. Dr. Egon Johannes Greipl, Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege: „Die Anzahl und die Qualität der Ausgrabungsfunde übertrifft unsere Erwartungen! Es ist eine einmalige Gelegenheit, durch die Ausgrabungen mehr über die Gründungsgeschichte Münchens zu erfahren. Hier zählt jede Quelle und wie wir sehen: es kommt auf jede Scherbe an!“ Die Keramikscherbe stammt von einem Kochtopf und wurde in 5 Meter Tiefe gefunden. Sie ist circa 11 Zentimeter breit und 5 Zentimeter hoch.
Die Ausgrabung am Marienhof ist mit 6.600 Quadratmetern das größte ausgegrabene Bodendenkmal der Münchner Innenstadt. Der Grabungsbeginn war am 19. April 2011, die Grabungen dauern in Abhängigkeit von den Witterungsverhältnissen bis zum Frühjahr 2012. Aufgrund der historischen Quellen und archäologischen Ausgrabungen ist München mit der Grabung am Marienhof zu einem der herausragenden Forschungsprojekte mittelalterlicher Stadtentwicklung geworden.
Zu den Höhenpunkten der Ausgrabungen zählen neben dem jüngsten Fund der Keramikscherbe aus dem 11. Jahrhundert
- die erste Stadtbefestigung Münchens mit dem Stadtgraben aus dem 12. und 13. Jahrhundert
- der älteste datierte Baubefund Münchens: eine Latrine um 1260/61 außerhalb der Mauern des hochmittelalterlichen Münchens
- Funde aus einer Latrine eines reichen Kaufmannes des 14./15. Jahrhunderts: Verziertes Flachglas als Zeugen prunkvoller Raumausstattung, Trinkgläser, verzierter Messergriff, Fragment einer prunkvollen venezianische Flasche mit blauer Fadenauflage, importiertes Siegburger Steinzeug, Goldring
- Funde aus einer Latrine des einfachen Bürgers, spätes 15. Jahrhunderts: Einblicke in Leben und Gewohnheiten des spätmittelalterlichen Münchners zur Zeit des Dombaues und Erasmus Grassers: Schnabelschuhe eines namentlich bekannten Schusters, Böden von Daubengefäßen eines bekannten Handwerkers, Kochtopf mit Essensresten, Spardosen, Obstkerne, Tierknochen
- der Keller des Paradeiserhauses um 1300: das Haus, in dem im 17. Jahrhundert Maria Ward lebte, die Begründerin der ersten Mädchenschule in Bayern
- zahlreiche Funde aus der Zeit der Bombardierung Münchens: wie zum Beispiel die Reste der Stadtbibliothek oder Kaffeehausgegenstände des Café Bentenrieders.
Exemplarische Funde sowie die Erkenntnisse für die Münchner Stadtgeschichte sollen auf verschiedenen Wegen für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In Vorbereitung sind zum Beispiel zusätzliche Plakate am Bauzaun und regelmäßige Veröffentlichungen im Internet unter www.2.stammstrecke-muenchen.de. Geplant sind ferner eine Ausstellung an einem geeigneten Ort in der Münchner Innenstadt sowie je eine schriftliche wissenschaftliche und populäre Veröffentlichung.